Abneigung gegenüber anderen Menschen

Mit diesem Thema bist Du nicht alleine – dies ist der mit Abstand meistgelesene Artikel auf meiner Webseite. Warum ist das so? Scheinbar haben viele Menschen das Problem, aber keiner redet darüber. Ich möchte in diesem Artikel über eigene Erfahrungen berichten, Ursachen erforschen und Lösungswege aufzeigen.

 

Der Mensch ist ein soziales Wesen, wir sind auf Kontakt angewiesen und unsere Biologie ist darauf ausgerichtet. Abneigung gegen andere Menschen entsteht oft, wenn Kontakt lange Zeit nicht möglich ist. Besonders betroffen sind Menschen mit sozialen Ängsten, die dazu neigen, Kontakt zu vermeiden und sich zurückzuziehen. Durch lange Isolation entwickelt sich im Extremfall sogar Menschenhass. Das Fachwort dafür ist Misanthropie. Dies ist sehr problematisch und auch sehr selbstschädigend, da sich dadurch eine Abwärtsspirale in Gang setzt. Durch ein abwertendes Verhalten gegenüber anderen Menschen isoliert man sich nur noch mehr und wird noch einsamer.

 

Abneigung gegen Menschen kann natürlich auch andere Gründe haben, z.B. Enttäuschung und Demütigung, ‚Sich sorgen um den Zustand des Planeten machen‘, d.h. den Menschen als Parasit sehen oder psychisch kranke Psychopathen. Ich möchte in diesem Artikel das Thema Menschenhass in Zusammenhang mit Schwierigkeiten im Kontakt beleuchten. Das betrifft vor allem Menschen mit sozialer Phobie, Depressionen, Introvertierte oder einfach Einzelgänger.

Meine eigenen Erfahrungen

Andere Menschen waren mir oft einfach ‚zu viel‘ – besonders wenn sie in Massen auftraten und ich ein Teil von ihnen war, z.B. in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Supermarkt. Ich fühlte mich dann oft bedrängt, konnte die vielen Körper, ihre Geräusche und Gerüche kaum aushalten. Ich fing dann an, zu urteilen und zu bewerten – hässlich, dumm, ekelig – das ganze Repertoire und ich regte mich darüber auf, was die Menschen so tun. Oft stellte ich mich innerlich drüber, um mich davon abzugrenzen und zu schützen. Es war wie auf einem Elfenbeinturm, auf dem ich saß und die Menschen aus sicherer Entfernung beobachtete.

 

Lachende Menschen lösten in mir eine Art Unverständnis aus. Ich fragte mich dann: ‚Wieso lachen die jetzt?‘. Partys, Vergnügungsparks und alles was in Richtung Spaßgesellschaft geht, war besonders schlimm. Auf mich wirkte das dann alles ‚hohl und sinnlos‘, ich verabscheute diese Menschen innerlich. Wenn ich in einer tiefen Depression steckte, bezog sich das Gefühl von Verachtung gegen die gesamte Menschheit. Es gab dann nichts Überflüssigeres auf der Welt als die Menschen. Ich sah dann nur, wie der Mensch alles zerstört und überhaupt nichts Positives mehr.

 

Die Abneigung gegen Menschen war bei mir nie mit unmenschlichem Verhalten verbunden. Im Gegenteil, ich bin sehr mitfühlend und leide mit, wenn andere Menschen leiden. Ich würde nie jemandem weh tun. Wenn jemand Hilfe braucht, dann bin ich die Allerletzte, die ‚Nein‘ sagt.
Ich empfand aber dennoch oft diese stille Abneigung, die ich nach außen hin nicht zeigte. Ich wusste, dass ich das im Grunde nicht bin.

Abwertung gegenüber anderen Menschen ist ein Abwehrmechanismus

Das ist meine persönliche Theorie und ich habe es bei mir selbst so erfahren. Ich bin lange Zeit mit diesem Thema heimlich durchs Leben gelaufen und es hat mich belastet. Heute verspüre ich nur noch sehr selten Abneigung gegen andere Menschen und ich bringe das sehr in Zusammenhang mit meiner Heilung. Im Nachgang habe ich begonnen die Zusammenhänge zu analysieren und habe festgestellt, dass es einen Zusammenhang zwischen Menschenhass und fehlendem Kontakt mit Menschen gab. Je mehr ich in Kontakt kam, desto weniger wurde der Menschenhass.

 

Wenn Kontakt nicht möglich ist, dann leiden wir und fühlen uns im Laufe der Zeit sehr einsam. Dies ist ein sehr schmerzliches und belastendes Gefühl. Oft entsteht neben dem Gefühl der Einsamkeit auch Neid, meist beim Anblick glücklicher Menschen. Für sozial isolierte Menschen kann dies ein unerträglicher Anblick sein. Innerhalb von Gruppen entsteht oft ein „Ich gehöre nicht dazu– Gefühl. In solchen Situationen entsteht ein Bewusstsein darüber, was man im eigenen Leben verpasst. Das ist sehr schmerzlich. Dieser Schmerz möchte nicht gefühlt werden. Die innerliche Abwertung der ‚glücklichen‘ Menschen ist dann eine Art Selbstschutz, um die schmerzlichen Gefühle nicht fühlen zu müssen.

 

Die Abwertung anderer Menschen dient also der Abwehr von schmerzlichen Gefühlen. Gleichzeitig wird durch die Abwertung bewusst oder unbewusst Distanz erzeugt, es ist also auch eine Kontaktvermeidungs-Strategie. Das führt in die schon erwähnte Abwärtsspirale: Schwierigkeiten im Kontakt » Vermeidung oder Abwertung » noch weniger Kontakt » Vereinsamung » Menschenhass.
Die Ursache allen Übels sind also die Kontaktschwierigkeiten, die am Anfang der Kette stehen. Und da sind wir dann beim Thema Bindungstrauma.

Wieso haben wir Schwierigkeiten im Kontakt mit Menschen?

Aus traumatherapeutischer Sicht lässt sich das wissenschaftlich gut erklären. Viele von uns sind infolge negativer oder fehlender Beziehungserfahrungen in der frühen Kindheit traumatisiert worden. Das heißt am Ende nichts anderes, als dass unser Körper uns im Kontakt mit Menschen ständig Gefahr signalisiert. Das Nervensystem hängt bei Trauma im Zustand der Kindheit fest, wo der Kontakt ja tatsächlich schädigend oder gefährlich war. Bei ungelöstem Trauma scannt unser Körper als Erwachsener ständig unterbewusst die Umgebung auf mögliche Gefahren ab. Das geschieht völlig unbewusst und unter dem Radar – der Fachbegriff dafür ist Neurozeption. Bei Bindungstraumatisierung werden alle oder bestimmte Menschen vom Nervensystem als gefährlich eingestuft. Im Falle von Gefahr schaltet der Körper dann automatisch auf die Notfallmechanismen Kampf, Flucht oder Totstellreflex um. Das System für soziale Interaktion wird in diesem Modus deaktiviert oder steht nur noch eingeschränkt zur Verfügung. Wir sind dann im Kontakt mit Menschen angespannt oder blockiert und wissen gar nicht so recht, warum überhaupt. Das ist alles reine Biologie und dies sind Erkenntnisse, die Stephen W. Porges in seiner Polyvagal-Theorie beschreibt.

 

Die Diagnosen soziale Phobie oder Depression sind im Grunde nur bestimmte Ausprägungen dieser Notfallmechanismen des Nervensystems. Bei sozialer Phobie befindet man sich im Kampf/Flucht-Modus, die beschriebene Angst vor Menschen ist bewusst und deutlich spürbar. Bei Depression befindet man sich im Modus Totstellreflex, man hat einfach keine Lust auf Kontakt, weil dies als stressig empfunden wird. Der Kopf versucht für das entstehende Gefühl von Trennung eine schlüssige Erklärung zu finden. Das Ergebnis ist dann oft: ‚alle Menschen sind doof‚ oder ‚ich will ja gar nicht in Kontakt gehen‘. Eine Variante ist auch: ‚ich brauche das nicht‚ – dabei gibt es oft sogar ein Gefühl von Stolz. Gepaart ist das häufig auch mit Verächtlichkeit oder Überheblichkeit. All dies sind Mechanismen um mit dem fehlenden Kontakt irgendwie klar zu kommen, das eigentliche Problem ist aber das darunterliegende Trauma.

Starkes Autonomiebedürfnis, Selbsthass, Verachtung und unterdrückte Wut

Bevor ich auf Lösungsmöglichkeiten eingehe, möchte ich noch ein paar Dinge nennen, die den Hass auf andere Menschen oder das Distanzbedürfnis zusätzlich beflügeln können.  

  • Starkes Autonomiebedürfnis Menschen mit frühen Verletzungen haben oft ein starkes Autonomiebedürfnis. Durch die Erfahrungen in der Kindheit haben sie beschlossen, die Dinge lieber alleine zu lösen und andere Menschen nicht mehr zu brauchen. Wenn man die Dinge alleine regelt, ist man nicht auf Hilfe angewiesen, hat die Sache unter Kontrolle und kann so weniger verletzt werden. Diese Menschen mögen es auch oft nicht, wenn sich andere in ihre Angelegenheiten einmischen. Es gib also ein großes Bedürfnis nach Distanz zu anderen Menschen – die Kehrseite ist oft fehlender Kontakt und Einsamkeit.
 
  • Selbsthass Es gibt ja dieses Analogie-Prinzip, welches besagt, dass äußere Zustände letztlich nur ein Spiegel des eigenen inneren Zustandes darstellen und umgekehrt. Das bedeutet am Ende: wenn Du dich selbst hasst, hasst Du deine Mitmenschen – wenn Du dich selbst liebst, liebst Du deine Mitmenschen. Menschen mit wenig Selbstwert und Selbstliebe sind innerlich sehr unzufrieden, sie hassen sich selbst. Blicken sie mit diesem inneren Zustand in die Welt, so übertragen sie ihren Selbsthass auf ihre Mitmenschen.

  • Verachtung Menschen, die viel Demütigung erfahren haben, fühlen sich wertlos. In diesem Zustand retten sie sich selbst vor der Vernichtung, indem sie andere Menschen als noch wertloser betrachten. Sie schauen dann von ‚oben herab‘ auf die Mitmenschen, um sich irgendwie besser zu fühlen. Hierzu möchte ich auf einen sehr schönen Artikel von Dami Charf verweisen, der das Thema sehr gut erklärt: Verachtung – das heimliche Gefühl

Hilfe suchen und annehmen

Betroffene Menschen haben anfangs oft keinen spürbaren Leidensdruck, weil sie mit der Kontaktvermeidung gut leben können. Symptome wie Einsamkeit und Depression treten erst auf, wenn die Isolation schon recht lange Zeit besteht. Sind die beschriebenen Abwehrmechanismen aktiv, so ist Kontakt nicht gewollt oder wird sogar abgewehrt. Viele Menschen suchen daher keine Hilfe oder wollen sich nicht helfen lassen. Das ist ein Dilemma, aus dem die Betroffenen schwer herauskommen.

 

Aber auch die andere Seite geht oft auf Distanz. Gesunde Menschen sehen bei den betroffenen Menschen oft nur das Außenbild: den Wunsch nach Isolation und vielleicht auch Arroganz. Das schreckt natürlicherweise viele Menschen ab und sie meiden den Kontakt. Die ’selbstgewählte‘ Isolation ist ein Schutz vor Verletzung. Für die Mitmenschen ist es oft sehr schwierig, das zu erkennen und an die betroffenen Menschen heranzukommen. Je größer die innere Not hinter der Fassade, desto größer die Abwehr. Helfende Menschen brauchen viel Geduld und ein Feingespür für die Grenzen des Gegenübers.

Lösungswege

Der erste und entscheidende Punkt ist die Aufklärung. Erst wenn klar ist, dass das zugrundeliegende Problem der fehlende Kontakt zu Menschen ist, wird der Lösungsweg sichtbar. Mit Kontakt meine ich tiefen Kontakt, ein Gesehen und Verstanden werden – nicht den üblichen oberflächlichen Alltagskontakt. Du brauchst neue positive Erfahrungen im Kontakt, möglicherweise hattest Du die noch nie zuvor in deinem Leben. In der Praxis heißt das, genau das Gegenteil von dem zu tun, was Du bisher gemacht hast. Statt Vermeidung und Abwertung aktiv in Kontakt gehen. Das klingt leicht, ist es aber nicht. Du kommst dabei wahrscheinlich mit Gefühlen in Kontakt, die überwältigend erscheinen – Angst, Traurigkeit und Wut. Daran führt leider kein Weg vorbei, da durchzugehen – das ist die Heilung.

 

Am Anfang braucht es dafür einen sicheren Rahmen. Wenn es Dir prinzipiell möglich ist, in Kontakt mit Menschen zu treten, dann empfehle ich Dir das Ehrliche Mitteilen. Du findest in den Gruppen gleichgesinnte Menschen mit ähnlichen Problemen, mit denen Du den Weg gemeinsam gehen kannst.

 

Wenn Kontakt zu Menschen schwierig ist, liegt oft wie schon beschrieben ein Bindungs- bzw. Entwicklungstrauma vor. Die Basis für tiefen und nährenden Kontakt mit Menschen ist auch, dass Du gut im Kontakt mit Dir selbst bist. All das, was auf dieser Webseite bereits als Lösungsweg beschrieben ist, wäre also hilfreich. Bei schwereren Fällen wird es ohne professionelle Traumatherapie keine Lösung geben. Wenn Du magst, begleite ich Dich auch persönlich auf deinem Weg: Zurück zu den Menschen. Mein Angebot findest Du hier.

 

Ich möchte Dir Mut machen. Das Problem Menschenhass ist eine Folge von fehlendem Kontakt und ungünstigen Beziehungserfahrungen in der Kindheit. Du bist deshalb kein schlechter Mensch, Schuld- oder Schamgefühle sind fehl am Platz. Es ist voll logisch, dass es so ist wie es ist. Und es gibt viele Heilungsmöglichkeiten. Ich bin diesen Weg selbst gegangen und kann Dir sagen, es lohnt sich.